Depressionen | Gastartikel von Wusel

Der Gastartikel dieser Woche erscheint zum ersten Mal nicht Sonntags, sondern einen Tag später. Dafür möchte ich mich entschuldigen, aber heute hat unser Keks Geburtstag und wir hatten gestern mt der Vorbereitung zu tun. Ich hoffe, er kann mir verzeihen.

Wusel hat seine Geschichte aufgeschrieben, sie zeigt meiner Meinung nach einen nicht untypischen Verlauf, viele Depressionen verlaufen so. Aber für mich zeigt diese Geschichte auch, dass man mit der Depression leben kann, dass man sie im Zaum halten kann und einen Weg findet, damt umgehen zu können. Sie verläuft in Wellen, sie zwingt einen immer wieder in die Knie, aber man kann mit ihr leben. Danke, dass Du diese Geschichte aufgeschrieben hast.


Wie erkläre ich meine Depression? Schwierige Angelegenheit, vor allem, weil mich die depressiven Phasen schon praktisch mein ganzes Leben lang begleiten, genauso wie die Angst. Es ist eine Art von „Normalität“, die mir schon gar nicht mehr wirklich auffällt. Meistens sind es andere Menschen, die mich darauf hinweisen, wenn ich wieder in einen depressiven Schub gerate. Selbst merke ich im ersten Moment recht wenig davon.

Begonnen hat die Depression irgendwann in der Schulzeit, in einem Alter, in dem man die Episoden der Schwäche und der schlechten Stimmung noch mit dem Wort Pubertät abtun kann. In der Pubertät gibt es eben Phasen, in denen man in sich selbst versinkt, traurig ist, schwach ist. Aber sind massive Suizidgedanken in der Pubertät auch normal? Ich glaube nicht. Ich wollte einfach nicht mehr auf dieser Welt sein. Nicht in der Schule, nicht bei meinen Eltern und nicht in der Gemeinschaft all der Menschen, die ich eigentlich liebgewonnen hatte. Reden war nicht so mein Fall, also über meine Probleme und die Gedanken, die in meinem Kopf herumgingen. Ich habe mit niemandem geredet, schon gar nicht mit meinen Eltern. Alles schön versteckt.

Die Schule war eigentlich (vielleicht bis auf die ersten 2 – 3 Jahre) immer eine Nebensache. Meistens habe ich neben oder trotz der Schule mehr gelernt als in der Schule. Das hing auch damit zusammen, dass ich oft einfach nicht die Kraft hatte, dem Unterricht länger als 3 Stunden zu folgen. Mit dem Ergebnis, dass ich ungefähr in der vierten Stunde regelmäßig tief und fest mit dem Kopf auf dem Tisch eingeschlafen bin. Im Rückblick war die Schulzeit ein Gemisch aus interessanten Themen, Dingen die ich unbedingt lernen wollte und totalem Horror. Vielleicht hängt damit auch die Angst zusammen, die ich vor der Schule und vor Prüfungen allgemein entwickelt habe. Meine Schulleistungen waren immer so, dass ich gerade nicht aufgefallen bin, weder in die eine noch in die andere Richtung. In der Mittel- und Oberstufe musste ich dann eben massiv pfuschen, um durchzukommen. Aber ich bin damit nie wirklich aufgefallen. 🙂

Mit 16 stand ich dann das erste Mal auf jener Autobahnbrücke. Große Höhe, niedriges Geländer, ideal. Um es vorweg zu nehmen, ich bin nicht gesprungen, die Angst war stärker. Aber niemand weiß bisher wie knapp es wirklich war. Das will ich auch niemandem erzählen. Gut ein Jahr später lernte ich ein Mädchen kennen, meine jetzige Frau und beste Freundin. Sie hat mir zwei Mal das Leben gerettet, aber das ist noch eine andere Geschichte, die ich vielleicht mal ausführlich erzählen werde – das glaubt mir ohnehin keiner.

Wir sind, wie schon erwähnt, immer noch zusammen, mittlerweile seit über 25 Jahren. Wir haben jede Menge Tiefschläge und anderen Mist gemeinsam durchgestanden. Statistisch gesehen hätten wir schon vier bis fünf Mal getrennt sein müssen. Dann kam Zivildienst, Studium und Selbständigkeit. Alles verbunden mit immensem Kraftaufwand, Angst, Panik und Depression. Die Depression wurde zur Normalität, die Phasen in denen ich nur mit Mühe aus dem Bett kam, ganze Wochenenden durchschlafen musste, um genügend Energie für die Woche zu haben. Und dann die Woche spätestens donnerstags eigentlich beenden zu müssen, weil keine Kraft mehr da ist. Diese Kombination aus kräftezehrendem Job, parallel zum Studium, Familie und der Depression hat mich dann mit 30 Jahren zum zweiten Mal auf jene Autobahnbrücke getrieben. Auch diesmal kam die Lebensrettung von meiner Frau, diesmal direkt, sehr direkt. Ich wollte einfach nur noch weg, alles zurücklassen. Hatte keine Kraft mehr.

Nach diesem zweiten Versuch diese Welt zu verlassen, bin ich dann in eine psychiatrischen Klinik gegangen. Ich glaube, das war die beste Entscheidung, die ich treffen konnte. Ich hatte die Hoffnung, dass mir dort vielleicht jemand helfen kann. Ich bin also erst mal aus allem raus, Familie, Firma, Studium. Meine Frau hat alles organisatorische in die Hand genommen, hat versucht die Schulden im Rahmen zu halten, hat die Firma abgewickelt (etwas wozu ich nicht mehr in der Lage gewesen wäre, obwohl es schon mindestens ein Jahr zuvor notwendig war). Aber ich hatte zumindest Ruhe, konnte mich ganz auf mich konzentrieren.

Dem Klinikaufenthalt voraus ging ein Diagnosemarathon. Es hat ungefähr ein halbes Jahr gedauert, all die versteckten und offensichtlichen psychischen Probleme zu finden und an die Oberfläche zu befördern. Als erstes kam da die Depression. Ich hätte das, was ich die ganzen Jahre vorher erlebt habe, nie ernsthaft als Depression bezeichnet. Depressiven geht es doch viel schlechter als mir – kann also nicht sein! Aber da war noch mehr. Nach und nach kamen die Angststörung, ADHS (ohne H) und zum guten Schluss das Autistische Spektrum (Asperger) ins Spiel. Insbesondere die Asperger-Diagnose hat mich umgeworfen, das hätte ich im Leben nicht erwartet, dass der Doc mit so einer Diagnose um die Ecke kommt!

Der Klinikaufenthalt hat mir soweit geholfen, mich wieder zu stabilisieren, dass ich nach etwa 3 Monaten nach Hause gehen konnte, ohne sofort Gefahr zu laufen, dass ich wieder in Richtung Autobahnbrücke aufbreche. Die Zeit danach war mühsam. Zuerst wieder alltägliche Dinge tun. Das Einräumen der Spülmaschine hat mir alle Energie abgefordert, die ich aufbringen konnte. Es war schwierig für alle Beteiligten. Ich kann denjenigen, die mich damals so selbstlos unterstützt haben nur immer wieder danken! Danke dass ich es in Euren Augen wert war, um meine Gesundheit zu kämpfen!

Wegen der diversen psychiatrischen Diagnosen bin ich also seit knapp 15 Jahren „Rentner“. Eine Berufsunfähigkeitsversicherung hat mich (und uns) sozusagen finanziell gerettet. Mittlerweile geht es uns gut, wir haben unsere kleine Familie, ein gutes Auskommen und mehr brauchen wir nicht.

Es hat etliche Jahre gedauert, bis ich wieder einigermaßen „funktionieren“ konnte. Ich musste mir die Zeit nehmen, so unangenehm das auch für mich und meine Umgebung war. Mittlerweile habe ich gelernt, dass meine Kraft endlich ist und ich damit sparsam umgehen muss. Es gibt immer noch depressive Phasen. Es gibt auch immer noch Phasen, in denen ich mich von allen Menschen zurückziehen muss, um neue Kraft zu schöpfen. Aber es gibt auch gute Phasen, in denen ich es genieße am Leben zu sein!

Vielleicht wundert sich der eine oder andere, dass ich nichts darüber geschrieben habe, wer oder was der Auslöser für die Depression war. Das kann ich nicht, weil ich nicht weiß, was es war. Mögliche Ursachen gibt es genug. Allein das Vorhandensein von ADS und Autismus ist schon Grund genug, depressiv zu werden. Auch der etwas übermäßige Alkoholkonsum in meiner Familie könnte ein Grund sein. Oder der Hospitalismus nach meiner Geburt. Es gibt viele Gründe, ich könnte aber nicht sagen welcher die Depression ausgelöst hat, wahrscheinlich war es einfach eine Kombination aus all den Dingen, die mir widerfahren sind. Ganz ehrlich? Ich will es auch nicht wissen. Es reicht zu wissen, dass die Depression da ist, dass sie mich auch noch den Rest meines Lebens begleiten wird. Und ich mag niemandem die „Schuld“ geben.

Und die Depression ist heimtückisch, manchmal bemerke ich sie gar nicht, bis mich jemand darauf aufmerksam macht. Manchmal ignoriere ich sie auch, weil es gerade Spaß macht zu leben. Die Depression schlägt aus dem Hinterhalt zu. Deshalb kann ich nicht weit voraus planen. „Größere“ Termine, Reisen usw. Alles geschieht kurzfristig, weil ich nicht sicher sein kann, dass ich eine ein Jahr vorher geplante Reise überhaupt antreten kann. Manchmal schiebe ich die Depression vor mir her, weil ich sie grad nicht gebrauchen kann. Das geht, ein paar Tage vielleicht. Aber dann muss ich die Rechnung zahlen. Heute ist die Depression nicht mehr gefährlich – im Sinne von Suizidgedanken oder -Versuchen. Erwischt mich die Depression irgendwann wieder, so dass sie wieder gefährlich wird? Ich weiß es nicht. Ich will es auch nicht wissen.

Und weil ich es nicht weiß – und nicht wissen will – versuche ich ein Leben zu leben, das mich und meine Umgebung glücklich macht. Ich mache verrückte Dinge. Ich gehe segeln, powersegeln, auf einem winzigen Boot. Das ist so anstrengend, dass ich manchmal nach ein paar Minuten keine Luft mehr bekomme. Aber es macht Spaß, es ist verrückt und ich kann es. Also mache ich es.

Unsere Tochter hat in diesem Jahr den Motorrad-Führerschein gemacht. Endlich ist sie selbst etwas mobiler. Und ich hab mich direkt drangehängt. Vor dem Motorradfahren hatte ich bisher immer Angst. Jetzt weiß ich: es macht Spaß! Und es ist verrückt. Also tu ich es.

Mittlerweile habe ich auch einen kleinen Job gefunden, der mir Spaß macht. Ich darf einer meiner Lieblingsbeschäftigungen nachgehen und bekomme auch noch Geld dafür! 🙂 In Elektronik, je älter desto besser, habe ich schon immer gerne herumgebastelt. Noch besser, wenn ich unter nahezu idealen Bedingungen damit auch noch mich selbst und andere Menschen glücklich machen kann!

Ich werde wohl noch mehr verrückte Dinge tun, einfach um das Leben zu genießen, es könnte viel zu schnell vorbei sein. Dann möchte ich zurück blicken und sagen können: Ich hatte ein gutes Leben – trotz allem!

 

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